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icon.crdate27.10.2008
Kleine Leute – große Verantwortung
- Orientierungsplan gibt kindlicher Bildung neues Gesicht -
Im Rahmen der Einarbeitung des "Orientierungsplanes für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten" hat der Kindergarten Sonnenblume in Oberharmersbach schon jetzt alle sechs Arbeitsmodule der notwendigen Fortbildungen erarbeitet und ist derzeit dabei, die Entwicklungen weiter zu vertiefen.
Der Orientierungsplan wurde vom Ministerium für Kultus und Sport im Jahre 2006 herausgegeben. Darin wird der Bildungsauftrag der Kindergärten konkretisiert, das Bildungs- und Erziehungsverständnis thematisiert. Was will das Kind und was braucht es, um sich zu einem eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Menschen zu entwickeln.
Sie ist in aller Munde – die „Bildung der frühen Kindheit“, die nicht nur nach und wegen der PISA-Studie nachhaltig untersucht und überarbeitet wurde. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse prägen die Kindergartenlandschaft mittlerweile neben der Pädagogik und Psychologie und fordern neue Wege der Bildungsarbeit.
„Die Entwicklung des Kindes ist ein individueller Prozess, und jedes Kind hat einen Anspruch darauf, in seiner Individualität wahrgenommen und verstanden zu werden.“ (Zitat Orientierungsplan). Diese Erkenntnis führt zu einer gravierenden Veränderung des pädagogischen Alltages in den Kindergärten. Während lange Zeit davon ausgegangen wurde, dass frühkindliches Lernen vom Erwachsenen gesteuert und methodisch aufbereitet werden muss, hat das Pädagogische Fachpersonal heute die Aufgabe, das Kind in seiner Entwicklung zu begreifen und dieser mit Impulsen und ganzheitlicher Förderung im Alltag gerecht zu werden. Manfred Spitzer, einer der bedeutsamen Hirnforscher, stellt anschaulich dar, wie das Gehirn in seinem Entwicklungsaufbau eigenen Gesetzesmäßigkeiten unterliegt, die vom Erwachsenen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Lernen wird aufbauend auf die konstruktivistische Lerntheorie als „Konstruktionsprozess“ gesehen, in dem sich das Kind seine Welt aktiv erschließt und eine eigene, individuelle Lerndisposition hat. Ein anderes Wort für „Erfahrungen machen“ ist „lernen“, so der Orientierungsplan und dazu braucht das Kind den Erwachsenen, der ihm hilft, seine Erfahrungen einzuordnen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist hier die so genannte Co-Konstruktion, was bedeutet, dass der Erwachsene dem Kind eine Rückmeldung gibt zu seinem Erleben und ihm damit hilft, dem Erlebten Bedeutung zu verleihen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis der Hirnforschung liegt in der Bedeutung des gefühlsmäßigen Kontexts. Die Neurobiologie belegt, dass Lernen mit positiven Gefühlen weit nachhaltiger ist, als Lernen unter Stress und Druck. Wann immer Gelerntes im Gehirn abgerufen wird, kommt auch die Emotion zum Tragen, unter der gelernt wurde. Ein negatives Gefühl bewirkt instinktiv den Antrieb zu „Kampf oder Flucht“, was heißt, dass Problemlösungsstrategien nicht wirksam erfahren werden können. Auf diese Art lernt das Kind höchstens, wo es nicht langgeht. Auch Abraham Maslow, der bereits 1943 eine Studie veröffentlichte, die er „Bedürfnispyramide“ nannte, gibt Aufschluss über wichtige Lerngrundlagen und den erforderlichen Bindungen, um überhaupt lernfähig zu sein. In seinem Stufenmodell beschreibt er die nötigen Grundlagen, um überhaupt eine Form der Entfaltung und Selbstverwirklichung leben zu können. Das Kind braucht dringend sichere und verlässliche Bindungen, um die Grundbedürfnisse nach Akzeptanz, Wärme und Sicherheit erfahren zu können und auf dieser Basis lernen zu können. Diese Grundbedürfnisse, über die ein Kind von Geburt an verfügt, sind laut Orientierungsplan:
1. Anerkennung und Wohlbefinden,
2. Die Welt entdecken und erforschen,
3. Sich ausdrücken und
4. Mit anderen leben.
Aufbauend auf die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse setzt der Orientierungsplan sechs Lern- und Entwicklungsfelder, die dem Kind einen ganzheitlichen Grundstock an Lern- und Lebenserfahrungen in der Zeit bis zum Schuleintritt (und darüber hinaus weiterführend in der Grundschule) anbieten sollen. Sind die Grundbedürfnisse erfüllt, kann das Kind weiterführende Entwicklungsaufgaben lösen und sein Lern- und Leistungspotential voll ausschöpfen.
Im Kindergarten Sonnenblume in Oberharmersbach wird diesen Aufgaben sehr verantwortungsvoll begegnet. Entwicklungsbezogene Grundbedürfnisse erfüllen zu können, heißt für das Fachpersonal, jedes einzelne Kind zu verstehen und zu begreifen und ihm mit allem Respekt zu begegnen. Entwicklungsbegleitung heißt hier, eine feste Begleiterziehern an der Seite zu haben, die mit dem Kind in der Beobachtung und im Gespräch herausfindet, was es benötigt, um sich optimal entwickeln zu können. Eine vorbereitete, lernanregende Umgebung schafft Geborgenheit und Sicherheit und regt zur Selbsttätigkeit an. Ergänzend erhalten die Kinder entwicklungsbezogene und themenspezifische Lernangebote in Werkstätten und Fachbereichen. Die Erziehung zur Selbstverantwortlichkeit ist ein wichtiges Ziel für den Kindergarten Sonnenblume. Aktives Mitgestalten bei der Planung und Durchführung von Festen, wie z.B. „Opa-Oma-Fest“, „Schulanfängerabschluss“, Erntedank und Nikolaus geben den Kindern Raum, eigene Ideen zu entwickeln und zu erproben.
Bildung der frühen Kindheit wird im Orientierungsplan maßgeblich gekennzeichnet durch die Perspektive des Kindes, welche in der Einleitung beschrieben wurde mit dem Satz „Der vorliegende Orientierungsplan lädt ein, die Welt mit den Augen der Kinder zu sehen.“ Das heißt, nicht mehr länger der Erwachsene setzt Entwicklungsziele, sondern das Kind wird in seinem vorgegebenen Entwicklungsprozess optimal unterstützt, in dem das Rechte zum rechten Zeitpunkt zur Verfügung gestellt wird. Dazu ist das Grundvertrauen nötig, dass Kinder sich die Welt ernsthaft, mit dem Wunsch zu lernen, erobern und damit ihr Weltwissen systematisch erweitern. „In jedem Menschen steckt – unbeschadet seiner eigenen Freiheit – die Triebfeder, sich zu entfalten“, so der Orientierungsplan weiter.
Evaluationsverfahren beschäftigen sich als logische Konsequenz dieser Erkenntnisse nicht mehr länger mit der Frage „Was lernt ein Kind?“, sondern „Wie lernt ein Kind?“.
In der weiteren Berichterstattung werden wir uns den Themen ‚Das Portfolio als Dokumentation der Bildungsgeschichte’, den ‚Kinder unter 3 und Übergang in die Grundschule’, der ‚Erziehungspartnerschaft mit den Eltern’ und der ‚Sprache als Schlüsselqualifikation’ widmen.
„Man muss nicht nur wissen, sondern auch anwenden“ (Goethe)