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icon.crdate04.12.2008
Kindergarten Sonnenblume Oberharmersbach
Kleine Leute – große Verantwortung
- Bildungsdokumentation im Portfolio -
Die Dokumentation des frühkindlichen Bildungsprozesses im Portfolio (Entwicklungsbuch) ist eine zentrale Aufgabe, die der Orientierungsplan an Weiterentwicklung der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg stellt. Ein detailliertes Bild dieser Aufgabenstellung und deren Umsetzung haben die Leiterin des Kindergarten Sonnenblume Oberharmersbach, Frau Angelika Schwarz und die Erzieherinnen Helene Gerth und Marianne Baumann gemeinsam mit der Fachberatung Sonja Lutz gezeichnet.
„Die Entwicklung des Kindes ist ein individueller Prozess, und jedes Kind hat einen Anspruch darauf, in seiner Individualität wahr genommen und verstanden zu werden.“
Dieses Zitat aus dem Orientierungsplan soll unseren Dialog mit dem Kind und unsere Entwicklungsdokumentation begleiten.
Ein Portfolio ist äußerlich betrachtet in der Regel ein Ordner, der aus unterschiedlichen Kapiteln besteht. Zunächst findet sich ein Kapitel mit dem Titel „ICH“, in dem das Kind sich selbst mit soviel Begleitung wie nötig in seiner Entwicklung dokumentiert. Dies geschieht mit gemalten Bildern, mit Fotos, mit Fragebögen über die eigene Person, mit Wachstumstabellen bzw. der Darstellung des eigenen Wachstumsprozess. Weitere Kapitel sind der Familie und den Freunden gewidmet. Oft findet sich auch eine Rubrik mit lustigen Episoden und Kindermund, sowie eine Rubrik für Briefe ans Kind, die Momente festhalten sollen, die sich in der Beziehung zur Erzieherin ereignen.
Das Herzstück des Portfolios ist eine Dokumentation der gelösten Bildungsaufgaben mit dem Titel „Geschafft, gelernt“ oder einem so genannten Kompetenzprofil, das die Kinder immer wieder motivieren soll, sich auf weitere Lernschritte einzulassen und ihnen rückmeldet, wie wichtig Anstrengung und Leistungsbereitschaft sind. Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung und der Lernforschung belegen, dass dieser Weg zu nachhaltigem Lernen und eigener innerer Grundmotivation führt, von der wir grundlegend ausgehen können, dazu ein Beispiel:
„Wer in einer Schülerband spielt, der ist wer – der kann nämlich ein Instrument spielen. Und wenn heute ein Fachlehrer einen Solisten mit einem unvergleichlichen Solo hört, der kürzlich eine 5 in Mathe geschrieben hat, dann weiß der Lehrer, dass er auch was kann und damit ein wichtiger und wertvoller Mensch ist.“
Mit diesen Worten begrüßte ein Fachlehrer und Leiter einer Schülerbigband an einer Realschule eine bis auf den letzten Platz gefüllte Turnhalle und erntete zunächst Schweigen und dann tosenden Applaus für diese Begrüßung. Wer wohl am lautesten geklatscht hat? Der mit der fünf in Mathe oder seine Eltern oder die Fachlehrer? Wie oft laufen wir alle Gefahr, dass ein Mensch irgendwann nur noch aus reparaturbedürftigen Mängeln, anstatt aus Möglichkeiten und Potentialen besteht, die nur darauf warten, dass sie entfaltet und bestärkt werden? Da ist das Kind mit ADHS; da kommt der, der nachts noch einnässt; da ist das Kind, das Ritalin bekommt; dort ist das Kind, das sich nicht konzentrieren kann – und alle diese Kinder haben sich durch eine Vielfalt an Entwicklungsleistungen entwickelt. Wichtig in dieser Arbeit ist, dass diese Entwicklungsleistungen, die den Motor für weiteren Ansporn bieten können, nicht von Frustration und Versagensängsten überlagert werden.
Im Offenen Kindergarten in Oberharmersbach rennt der Orientierungsplan mit der Aufgabenstellung quasi Offene Türen ein. Eine individualisierte und ressourcenorientierte Bildungsdokumentation für jedes einzelne Kind ist zu erstellen, von der aus die Selbstwirksamkeit der Kinder nochmals bestärkt und optimal eingesetzt werden will. Im so genannten Portfolio – vielerorts auch „ICH-Buch“, im Kindergarten Sonnenblume das „Fritz“ „Sophie“ oder „Hannes“ Buch genannt, das die Bildungsleistung des Kindes dokumentieren und damit auch wertschätzen will, finden sich zu den einzelnen Lernfeldern kleine Bildungsgeschichten und Dokumentationen über den Wissenserwerb. Damit will dem Kind Anerkennung und Ermunterung für weitere Entwicklungsaufgaben ausgesprochen werden. Die Eltern können in dieser Dokumentation ebenfalls Bestärkung für die eigene erzieherische Leistung erfahren und mit Freude am Entwicklungsprozess des Kindes im Kindergarten teilhaben. Für das pädagogische Fachpersonal stellt das Portfolio eine Arbeitsgrundlage für Reflektion und Weiterentwicklung der individuellen Entwicklungsbegleitung des Kindes dar. Hierzu gehört auch der „Lob des Fehlers“. Fehler sind wichtige und wertvolle Erlebnisse, die einen Erkenntnisgewinn darstellen und deshalb durchaus geschehen dürfen und sollen. In den Prozess der Dokumentation sind die Kinder involviert und partizipieren an Inhalt und Ausgestaltung der einzelnen Kapitel.
Als Zusammenfassung der Entwicklungsschritte wird ein individuelles Kompetenzprofil erstellt, das ressource- und stärkenorientiert aufgebaut ist. Jeder erreichte Lernschritt stellt Anschlussfragen und Themen, die weitere Bildungsleistungen nach sich ziehen und das Kind als kompetenten und selbständigen Lerner in den Vordergrund rückt. Individuelle Lernbegleitung heißt hier, jedem Kind den Rahmen zur Verfügung zu stellen, den es braucht, um sich optimal entwickeln zu können. Diese Aufgabe erfordert viel Zeit, vor allem im Entwicklungsprozess. Die Erfolge, die auch schon nach kurzer Zeit feststellbar sind, rechtfertigen diesen Aufwand auf der ganzen Linie.
Kinder, die sich als kompetent und leistungsstark erleben, lernen leichter, nachhaltiger und intensiver. Unabdingbare Grundlage der Begleitung durch das pädagogische Fachpersonal ist Achtung und Respekt vor der Bildungsleistung jedes einzelnen Kindes, damit es sich – gerade wenn es einmal schwierig wird – Rückhalt und Lernmotivation aus der Beziehung zum Erwachsenen ziehen kann.
Mit viel Freude haben sich die Kinder und Erzieherinnen im Kindergarten Sonnenblume in Oberharmersbach der Aufgabe gestellt, die Bildungsdokumentation im Portfolio zu führen. Viele Eltern nehmen interessiert teil und begleiten die Entstehung der Bildungsdokumentationen mit Neugierde und Spannung.
In der weiteren Berichterstattung werden wir uns den Themen „Kinder unter 3 und Übergang in die Grundschule“, der „Erziehungspartnerschaft mit den Eltern“ und der „Sprache als Schlüsselqualifikation“ widmen.